Ich. Du. Niemals wir.

»Du bist ein Arschloch!«

Justus lacht trocken auf. »Wie habe ich mir das jetzt verdient?«

»Du denkst immer nur an dich! Niemals an andere! Nicht an deinen Opa und auch nicht an ... an mich ...« Die letzten beiden Worte wispere ich nur noch.

»Hör auf!«, brüllt er mich plötzlich an und stößt mich so fest mit beiden Händen gegen die Schultern, dass ich gegen die Kommode hinter mir stoße und der darin steckende Schlüssel sich schmerzhaft zwischen meine Schulterblätter bohrt.

Ich stöhne auf und versuche, die Stelle mit der Hand zu erreichen, um darüber zu streichen. Justus steht mir schwer atmend gegenüber. Es wirkt fast, als wäre er gerade einen 1000-Meter-Sprint gelaufen. Seine Hände schließen und öffnen sich immer wieder.

»Aua«, stoße ich leise aus und sehe ihm in die Augen. Sie sind vor Schreck geweitet. Darin liegt eine Panik, wie ich sie bei ihm noch nie zuvor gesehen habe.

»Es ...«, stottert er, »... es tut mir leid. Ich ... Ich weiß nicht, warum ...«

»Aber ich weiß es«, flüstere ich und sehe ihm dabei immer noch fest in die Augen. »Unsere Eltern haben uns kaputt gemacht. Dich und mich. Auf vollkommen unterschiedliche Arten.«


Meine Schuhe knirschen über Kies, patschen durch Pfützen, schlurfen durch nasses Gras. Bald schon sind meine Waden mit Schlammspritzern bedeckt. Aber das ist mir egal. Ich laufe. Laufe. Laufe. Immer schneller. Immer weiter. Niemals stehen bleiben.

Ich renne, bis meine Lungen brennen und ich die Nässe und Kälte auf meiner Haut nicht mehr spüre. Ich renne, bis meine Muskeln schmerzhaft zu ziehen beginnen. Und auch dann halte ich nicht an. Ich umrunde die alte Eiche, streiche im Vorbeilaufen mit der Hand über ihre Rinde. Renne weiter zum See und einmal drum herum. Zweimal. Dreimal. Bis die Sonne aufgeht und alles in mir streikt.

Irgendwann werde ich langsamer, fahre das Tempo herunter und mäßige mein Herz, das mir so kraftvoll gegen die Brust springt, als wolle es daraus entkommen.

Mein Herz. So lebendig. So lebendig wie ich.

Schwer atmend bleibe ich schließlich stehen und betrachte das im Sonnenlicht glitzernde Wasser vor mir. Die zitternden Hände stütze ich an meinen Hüften ab. Selbst meine Arme sind nun schwer wie Blei.

Aber es geht mir gut. Besser. Und der kommende Tag macht mir nicht mehr ganz so viel Angst.